Das deutsche Recht erlaubt – jedenfalls bisher – einen erlittenen Sachschaden, z.B. auch nach einem Verkehrsunfall, „fiktiv“ abzurechnen, d. h. - ohne tatsächliche Reparaturdurchführung - anhand eines Sachverständigengutachtens über den Umfang und die Reparaturkosten des Sachschadens oder auch eines Angebotes/Kostenvoranschlags einer Werkstatt, anstelle einer Reparatur/Mängelbeseitigung den für die Reparatur erforderlichen Geldbetrag zu verlangen, ohne dass dieser zwangsläufig dann für eine Reparatur eingesetzt werden müsste. Der Geschädigte kann also beispielsweise eine Beule in seinem Fahrzeug unrepariert lassen, aber den für die Reparatur erforderlichen Geldbetrag trotzdem vom Ersatzverpflichteten verlangen und nach seinem Belieben anderweitig verwenden.
Der Bundesgerichtshof hat – unter ausdrücklicher Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung zu dieser Frage – dieser Form der Schadensabrechnung im Februar 2018 in einem werkvertraglichen Kontext erstmals eine Absage erteilt, mit der Begründung, dass hierin häufig eine Überkompensation im Verhältnis zu der sich aus dem Mangel ergebenden Wertverminderung des fraglichen Objektes liege.
Die 23. Zivilkammer (und auch die 8. Zivilkammer) des Landgerichtes Darmstadt hat aus diesem Urteil die Folgerung gezogen, dass damit generell, auch im deliktischen Schadensersatzrecht und damit für den Verkehrsunfall, ein Recht auf eine fiktive Schadensabrechnung nicht (mehr) bestehen könne (LG Darmstadt 23 O 132/17, 23 O 356/17, 23 O 386/17, 8 O 134/16). Folgte man dieser Rechtsauffassung, so könnte der Geschädigte eines Verkehrsunfalles künftig nur noch den Ersatz konkreter Reparaturkosten oder eines nach unterlassener Reparatur an seinem Fahrzeug ggfs. bestehenden merkantilen Minderwertes verlangen. Die bisher weitverbreitete Abrechnung nach Gutachten oder Kostenvoranschlag schiede dagegen aus. Diese Rechtsauffassung hat inzwischen vereinzelte Zustimmung gefunden, so z.B. LG Oldenburg mit Urteil vom 14.6.2019 (1 O 2175/18).
Das Oberlandesgericht Frankfurt als zuständiges Berufungsgericht für erstinstanzliche Entscheidungen des Landgerichtes Darmstadt hat andererseits der Rechtsauffassung des Landgerichtes Darmstadt (hier Urteil vom 24.10.2018 zu 23 O 356/17) eine – deutliche – Absage erteilt und die Möglichkeit der fiktiven Abrechnung ausdrücklich bestätigt (OLG Frankfurt, Beschluss vom 18.6.2019, Az. 22 U 210/18).
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat in einer Entscheidung vom 28.5.2019 die rechtlichen Erwägungen der o.g. Entscheidung des Landgerichtes Darmstadt vom 20.3.2019 (23 O 132/17) ausdrücklich aufgegriffen und inhaltlich ebenfalls abgelehnt.
Da eine der vorgenannten Entscheidungen des Landgerichtes Darmstadt noch nach dem fraglichen Beschluss des OLG Frankfurt erging bleibt abzuwarten, wie sich die entsprechenden Zivilkammern des Landgerichtes Darmstadt hier weiter verhalten werden. Nach bisherigem Stand sieht es aber jedenfalls danach aus, als werde das OLG Frankfurt eventuelle weitere erstinstanzliche Entscheidungen des LG Darmstadt, mit welchen die fiktive Schadensabrechnung ggfs. abgelehnt würde, jeweils aufheben. Soweit allerdings Berufungskammern des Landgerichtes Darmstadt, deren Entscheidungen vom Oberlandesgericht nicht mehr überprüft werden können, sich der Ablehnung der fiktiven Schadensabrechnung beim deliktischen Schadensersatz anschließen sollten, müsste hier letztlich der Bundesgerichtshof die Frage abschließend klären. Insoweit hat der Bundesgerichtshof bis jetzt, in Fällen deliktischen Schadensersatzes, die Frage soweit ersichtlich noch nicht aufgegriffen, bzw. auch nach der Ausgangsentscheidung des Landgerichtes Darmstadt den fiktiven Schadensersatz weiterhin ohne weiteres angewendet (z.B. BGH, Urteil vom 17.9.2019, VI ZR 494/18).
Fazit:
Wenngleich das Thema „Ende des fiktiven Schadensersatzes " wohl noch nicht als abschließend ausdiskutiert angesehen werden kann, darf man doch derzeit noch davon ausgehen, dass die Möglichkeit fiktiver Schadensabrechnung, jedenfalls bei der Abwicklung von Verkehrsunfällen, regelmäßig weiterhin gegeben ist und vereinzelte anderslautende Entscheidungen erstinstanzlicher Gerichte (soweit berufungsfähig) auch künftig jeweils durch die Berufungsinstanz korrigiert würden. Da hier im Übrigen einer der Grundpfeiler des deutschen Schadensersatzrechtes betroffen ist, ist anzunehmen, dass früher oder später eine weitere Klarstellung und Konkretisierung durch den Bundesgerichtshof oder möglicherweise durch den Gesetzgeber erfolgen wird.